Gemüt (engl. mind) ist ein zentraler Begriff, der im Westen anders verstanden wird als in den östlichen Schriften. Im Osten gilt es als materiell, nicht bewusst, im Westen als bewusst. Sant Kirpal Singh sagt dazu:
Das Gemüt erhält Bewusstsein von der Seele. Die Seele kann Gott erkennen, nicht das Gemüt. Wenn die nach außen gerichteten Fähigkeiten zur Ruhe kommen, das Gemüt stillsteht und auch der Intellekt aufhört zu arbeiten – dann erhebt sich Gott. Gleiches kann Gleiches erkennen. Das Gemüt ist materiell. Es ist die Essenz der negativen Kraft. Nur die Seele kann Gott erkennen. Darum heißt es „Erkenne dich selbst“. Alle Meister haben das gesagt: Ihr seid nicht das Gemüt, ihr habt ein Gemüt. Ihr seid die Seele. Ihr habt einen Körper, ihr habt nach außen gerichtete Sinne, ihr habt einen Intellekt, ihr habt ein Gemüt. Ihr seid ein bewusstes Wesen, ein Tropfen aus allem Bewusstsein. Gleiches erkennt also Gleiches.
–
Sant Kirpal Singh beschrieb die vier Aspekte oder Eigenschaften des Gemüts folgendermaßen:
1. Chit, die Fähigkeit, wahrzunehmen. Man kann es mit einem See vergleichen, in den unmerklich die zahllosen Ströme von Eindrücken beständig einfließen.
2. Manas: Das ist die Denkfähigkeit des Gemüts, das über die Eindrücke nachsinnt, die an die Oberfläche des Sees aufsteigen in Form von Kräuseln und Wellen, wenn die Brise des Bewusstseins über das Wasser des Chit-Sees streicht und eine endlose Kette von aufeinanderfolgenden Gedanken in Bewegung setzt.
3. Buddhi oder der Intellekt: Das ist die Fähigkeit der Logik, des Schlussfolgerns, der Unterscheidung und letzten Endes der Entscheidung, nachdem man alles Für und Wider, wie es von „Manas“ vorgelegt wurde, überdacht hat. Der Intellekt ist der große Richter, der die Probleme des Lebens, mit denen er konfrontiert wird, zu lösen versucht.
4. Ahankar oder das Ego: Das ist das Geltungsbedürfnis des Gemüts, denn das Gemüt möchte gerne für alles, was es getan hat, belohnt werden, und so wird eine reiche Ernte an Karmas vorbereitet, die den Menschen auf dem gewaltigen Rad des Lebens auf- und absteigen lässt.
Alle Handlungen hinterlassen einen Eindruck, doch einem abgestumpften Gemüt gelingt es nicht, diese Eindrücke zu entschlüsseln. Nur wenn sich das Gemüt entwickelt, indem man nach innen geht und sich erhebt, erlangt man die Erinnerung zurück und kann die Aufzeichnungen verstehen.
Das Gemüt besteht aus überaus feiner Materie, der „Satva-Substanz“, die sich wie Spinnfäden im Körper verteilt. Durch seine Ausläufer, die tief in den Sinnen verwurzelt sind, wirkt es durch die Sinnesorgane. Sein Ursprung liegt in höheren Bereichen, da es eingebettet ist in das universale oder kosmische Gemüt – „Chit akash“. Es dient als Bindeglied zwischen dem materiellen Körper und dem bewussten Geist oder der Seele im Körper, die sowohl Körper als auch Gemüt belebt. Wie das Feuer ist das Gemüt ein guter Diener, aber ein schlechter Herr. (…)
Solange sich die Seele im Bereich des Gemüts befindet, bleibt sie gefangen. Sie ist ganz und gar vom Gemüt in Anspruch genommen, ist ihm unterworfen und muss den Befehlen des Gemüts gehorchen. In dieser Kombination sind Seele und Gemüt wiederum in Formen eingeschlossen – nacheinander in die kausale, astrale und physische Form. Das Gemüt scheut sich, nach innen zu gehen und mit dem Tonstrom in Verbindung zu kommen, denn dadurch verliert es seine Identität und Freiheit. Dagegen ist es manchmal sogar bereit, sich im Schützengraben dem Gewehrfeuer auszusetzen, wenn es darum geht, ein Gebiet zu erobern, oder es nimmt freudig die Risiken einer Atlantiküberquerung auf sich, um sich einen Namen zu machen oder einen Rekord aufzustellen – dafür kann es bis zum Äußersten gehen.
Alle Vorstellungen und Ideen im Gemüt sind Wünsche. Jetzt wünscht sich das Gemüt Dinge, die es nicht erhalten kann. Wenn es aber die Wahrheit erkennt, wird ihm die ganze Natur zu Diensten stehen.
Das Gemüt ist nichts anderes als ein Vorratslager von karmischen Eindrücken, die sich seit Anbeginn der Zeit in einer endlosen Kette von Inkarnationen angesammelt haben. Der Körper kann nicht anders, als Karmas zu schaffen und diese Karmas wiederum gestalten den Körper – sie bestimmen alles, was mit dem Körper und unseren physischen Beziehungen zusammenhängt. Die ganze Welt ist ein Spiel der karmischen Eindrücke, die im Gemüt der Menschen dieser Welt gespeichert sind. Deshalb wird die Welt als „mano mai shriti“ oder „Schöpfung des Gemüts“ bezeichnet.
Das Gemüt selbst ist nicht bewusst. Es ist das Bewusstsein der Seele, das vom Gemüt widergespiegelt wird. Jeder, bei dem die Seele unter dem Einfluss und der Herrschaft des Gemüts steht, wird zum Abbild des Gemüts, denn er vergisst sein wahres Selbst. Das wird Ego oder Ichheit genannt, denn man denkt dann: „Ich bin alles.“ Gott plus Gemüt ist der Mensch, Mensch minus Gemüt ist Gott.