Auszug aus einer Rede Sant Kirpal Singhs bei der Weltkonferenz der Religionen
Sant Kirpal Singh, Delhi, 1965
Prüfen wir unser Herz mit dem Maßstab der Liebe, die das eigentliche Wesen Gottes ist. Ist unser Leben ein Aufblühen der Liebe Gottes? Sind wir bereit, einander in Liebe zu dienen? Halten wir unsere Herzen offen für heilsame Einflüsse von außen? Sind wir gegenüber denen, die anders sind als wir, geduldig und tolerant? Ist unser Herz genauso groß und weit wie Gottes Schöpfung und bereit die Gesamtheit Seines Seins zu umarmen? Bluten wir innerlich, wenn wir die Unterdrückten und Niedergeschlagenen sehen? Leiden wir, wenn andere leiden? Beten wir für die kranke und gequälte Menschheit?
Wenn wir nichts von all dem tun, sind wir von Gott und der Religion noch weit entfernt, ganz gleich wie lautstark unsere Reden und wie fromm unser oberflächliches Geschwätz und wie pompös unsere Proklamationen sein mögen. Trotz unserer inneren Sehnsucht nach Frieden haben wir versagt. Wir haben hoffnungslos versagt, was die Aufgabe betrifft, dem Frieden Gottes auf Erden zu dienen.
Die Ziele und die Mittel, um sie zu erreichen, hängen zusammen, man kann sie nicht voneinander trennen. Wir können keinen Frieden erlangen, solange wir versuchen, ihn mit kriegerischen Mitteln und zerstörerischen, alles vernichtenden Waffen, zu erreichen. Mit dem Keim des Hasses in unserem Herzen, den Schranken in Bezug auf Rasse und Hautfarbe, die in uns nagen, den Gedanken an politische Vorherrschaft und wirtschaftliche Ausbeutung, die in unserem Blut wogen, arbeiten wir für die Zerstörung der sozialen Strukturen, die wir mit so großem Einsatz aufgebaut haben, und nicht für den Frieden. Es sei denn für einen Frieden des Grabes; aber ganz sicher nicht für den lebendigen Frieden, geboren aus gegenseitiger Liebe und Achtung, Vertrauen und Zusammenarbeit, wodurch eine bessere Menschheit hervorgebracht und die Erde in ein Paradies verwandelt wird, und worum wir so leidenschaftlich beten und es von den Kanzeln und Rednertribünen predigen. Je mehr wir so weitermachen, desto weiter weicht es (unser Ziel, wahren Frieden zu erlangen) zurück zu weit entfernten Horizonten.
Worin besteht dann das Heilmittel? Ist diese Krankheit unheilbar? Nein, so ist es nicht. Es gibt immer noch das Leben und das Licht Gottes, um uns zu helfen und uns in der Wildnis zu führen.
Jede Religion hat notwendigerweise einen dreifachen Aspekt: Erstens, den traditionellen Aspekt, der die Mythen und Legenden für die Laienbrüder in sich einschließt. Zweitens, den philosophischen Aspekt, der sich auf die Vernunft stützt, um den Hunger der Intellektuellen zu stillen, die mehr an dem „Warum“ und „Wofür“ interessiert sind, als an etwas anderem. Dabei wird der theoretische Aspekt sehr betont und großer Wert auf die ethische Entwicklung gelegt, die für das spirituelle Wachstum so wichtig ist. Drittens, den esoterischen Aspekt, welcher der Wesenskern jeder Religion ist. Er ist für die wenigen Erwählten bestimmt, für die wirklichen Sucher nach der Wahrheit. Dieser letzte Aspekt setzt sich mit den persönlichen mystischen Erfahrungen aller Religionsgründer und anderer fortgeschrittener Seelen auseinander. Er wird Mystizismus genannt. Er ist das eigentliche Herzstück aller Religionen. Ihn muss man sorgfältig herausarbeiten und im Heiligtum des Herzens bewahren, um ihn zu praktizieren und zu erfahren.
Diese inneren Erfahrungen aller Weisen und Seher sind seit undenklichen Zeiten dieselben, ungeachtet der Gesetze ihrer Religion oder Gesellschaftsschicht, der sie angehörten. Sie befassen sich in erster Linie mit dem Licht und dem Leben Gottes – von welcher Ebene aus es auch immer sein mag. Und die Methoden und Mittel, um diese direkten Ergebnisse zu erhalten, sind ebenfalls dieselben. So sehen wir also, dass das Licht und das Leben Gottes die einzige gemeinsame Basis bilden, auf der sich alle Religionen begegnen. Und wenn wir diese Rettungsleinen ergreifen, können wir zu lebendigen Zentren der Spiritualität werden.
Mehr: Vortrag: The esoteric side of religions (engl.)