Der natürlichste Weg

Aus einem Vortrag von Sant Kirpal Singh in Philadelphia, USA, 13.9.1955

Ein ethisches Leben ist ein Trittstein zur Spiritualität. Richtiges Verhalten ist eine Voraussetzung für spirituellen Fortschritt. „Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen“ (Matth. 5,8).

Reinheit des Herzens ist für einen Pilger auf dem Weg sehr wichtig, denn ohne sie kann man das Licht Gottes nicht sehen und die Stimme Gottes nicht hören. Alle Schriften sprechen davon. Die Bergpredigt ist in diesem Punkt sehr deutlich. In ihr beschäftigt sich Jesus mit den Tatsachen des Lebens. Hinweise auf das „einzelne Auge“ und das „Reich Gottes im Inneren“ usw. beziehen sich auf das innere Leben. Das Innere und das Äußere sind miteinander verflochten. Jesus hat beide Aspekte des Lebens behandelt: den äußeren und den inneren. Wir müssen also Schritt für Schritt vorgehen.

Buddha legte auch großen Wert auf eine richtige Lebensweise und lehrte seinen Anhängern den Achtfachen Pfad des Rechten Lebens. Tatsächlich erwähnte er Gott mit keinem Wort, da er wusste, dass eine Gotteserfahrung die notwendige Folge sein würde, sobald der Boden vorbereitet ist. Auch die hinduistischen Schriften sagen das Gleiche. Neulich stieß ich auf ein Buch, das mir ein buddhistischer Gelehrter mitgebracht hatte. Der Autor versuchte zu zeigen, dass Jesus Christus mit den Lehren Buddhas nicht unvertraut war. Das ist natürlich eine Frage der Forschung und nicht der Diskussion. Dennoch sind die christlichen Lehren fast parallel zu den Lehren Buddhas, so sehr, dass beide fast identisch zu sein scheinen.

Das ethische Leben, wie bereits gesagt, geht dem spirituellen Leben voraus. Es besteht in einer rechtschaffenen Lebensweise, bei der das Leben den höchsten Idealen gewidmet ist: d.h.,

  • Keuschheit oder Reinheit in Denken, Sprechen und Handeln, denn Keuschheit ist Leben und Ausschweifung der Tod;
  • Universelle Liebe oder Liebe zu allen Lebewesen – auf diese Weise dehnt sich das Selbst aus und versucht, in einem Zug alles in seiner Gesamtheit zu erfassen;
  • Selbstloser Dienst oder Dienst vor dem Selbst, der dem großen Reservoir der Liebe zu Gott, der Quelle und des Ursprungs des Lebens, entspringt;
  • Liebe und Dienen führen natürlich zu Ahimsa oder Gewaltlosigkeit, auch in Gedanken und Worten, von Taten gar nicht zu sprechen;
  • Wahrhaftigkeit – sie erwächst ganz natürlich aus dem oben Genannten, denn dann beginnt man, wahr zu sich selbst zu sein. Über Wahrhaftigkeit oder wahre Lebensweise sagt Guru Nanak: „Die Wahrheit ist höher als alles andere, doch noch höher ist die wahre Lebensweise.“

Das sind also die fünf Kardinaltugenden oder die fünf Aspekte des ethischen Lebens und diese ebnen, vor allem anderen, den Weg zu Gott. Davon spricht Christus in seinen Seligpreisungen nachdrücklich, denn er selbst war eine Verkörperung von Reinheit und Liebe und Wahrheit.

Angenommen, jemand sagt, dass er die höheren spirituellen Ebenen erreicht hat, dass er das Sprachrohr Gottes ist, doch gleichzeitig hat er die Eigenschaften eines gewöhnlichen Menschen, wie könnte irgendjemand ihm dann glauben? Deshalb sagt Nanak: „Die wahre Lebensweise ist noch höher.“ Eine wahre Lebensweise ist der Trittstein zu den spirituellen Erfahrungen, die in den Schriften festgehalten sind.

Alle Meister, die in der Vergangenheit kamen, waren Kinder des Lichts. Wann immer sie kamen, gaben sie der ganzen Welt Licht. Sie kamen nicht für eine Nation, für ein Land, für eine soziale Religion oder eine andere, sondern für die ganze Menschheit, um sie in die Heimat ihres Vaters zurückzubringen. Was auch immer sie auf dem Weg zu Gott hilfreich fanden, haben sie in ihren Schriften festgehalten. „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“, sagte Jesus.

Alle diese Schriften sind mit uns. Sie sind alle wahr und enthalten die Erfahrungen mit der Wahrheit, die diese Meister in ihrem Leben gemacht haben. Wenn man sie studiert, wird man sehen, dass ihre Gedanken alle parallel sind und an einigen Stellen sogar der Wortlaut ähnlich ist. Natürlich haben sie verschiedene Sprachen verwendet, doch der Sinn ist derselbe.

Diese Schriften oder heiligen Bücher müssen wir verstehen. Aber wie? Wir können dies nur zu Füßen derer tun, die die gleichen Erfahrungen gemacht haben, die in den Schriften beschrieben sind. Angenommen, einige Leute kommen aus dem Ausland nach Philadelphia. Wenn sie in ihre verschiedenen Länder zurückkehren, schreiben sie in ihrer eigenen Sprache auf, was sie gesehen haben. Wenn Sie ihre Berichte lesen würden, würden Sie feststellen, dass sie sich über die wesentlichen Merkmale einig sind, aber in einigen Bereichen kann es Unterschiede in den Details geben – einer gibt die vollständige Beschreibung einer bestimmten Sache ab und ein anderer lässt Details weg. Wenn Sie Philadelphia selbst gesehen haben, würden Sie keine Widersprüche in den verschiedenen Berichten finden, aber wenn nicht, werden Sie verwirrt und befremdet sein und die Unterschiede in den verschiedenen Beschreibungen nicht übereinbringen können.

In ähnlicher Weise sind die Schriften, die wir zur Verfügung haben, Reiseberichte derer, die den Inneren Weg gegangen sind, die beschreiben, wie sie sich über das Körperbewusstsein erhoben haben, was sie auf dem Weg erlebten, was ihnen auf ihrer Reise geholfen hat und was ihren Fortschritt verzögert hat. Die Beschreibung all dieser Dinge ist in den Heiligen Schriften enthalten. Jemand, der nun selbst auf dem Weg zu Gott gereist ist, weiß, wovon die Schriften sprechen und kann sie uns erklären und logisch die Widersprüchlichkeiten in Einklang bringen, die den Neulingen auf dem Weg, die noch nicht gelernt haben, tief unter die Oberfläche zu tauchen, als solche erscheinen.